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Zur Ausstellung: Über dem Rauschen

Anke Zeisler

...Mittelpunkt meiner Arbeit ist stets der Mensch ... Dieses Statement der Fotokünstlerin kann den rätselhaften Titel ihrer Unterwasser-Bilder vielleicht erklären. Über dem Rauschen. Es ist die Perspektive. Wir, die wir außerhalb des Wassers leben, wähnen uns über einer Welt, von der wir glauben, es sei vor allem Stille, bestenfalls ein Rauschen da unten. „Stumm wie ein Fisch“, heißt es manchmal. Seine Welt ist uns fremd und wird es wohl immer auch etwas bleiben, weil sie nicht unser unmittelbarer Lebensraum ist.
Bekannt ist, dass Schallwellen im Wasser viel besser als zum Beispiel Licht weitergeleitet werden. Daraus lässt sich schließen, dass Fluss-, Seen- und Meeresbewohner durchaus Töne für Kommunikation und Orientierung nutzen. Und es stimmt zudem, dass seit der industriellen Revolution im 19. Jahrhundert das Unterwasserleben durch vom Menschen verursachte Geräusche - neben Vermüllung, Übersäuerung, Klimawandel etc. – empfindlich gestört wird. Kathrin Karras hat sich aufgemacht, manchmal tatsächlich mit Schnorchel und Kamera unter Wasser oder in Meeresmuseen, eine Werkreihe zu schaffen, der sie diesen anregenden Titel gibt. Er steht für eine Sammlung beeindruckend schöner „Malereien“, die sie nicht mit Pinsel oder Stiften, sondern mit dem Werkzeug Fotoapparat schafft. Spielerisch probiert sie mit Spiegelungen und Verzerrungen, Unschärfen oder Mehrfachbelichtungen. Schließlich legt sie Aufnahmen, manchmal fünf oder sechs, übereinander: Schichtungen, die mit Farben, Oberflächen, Raumsituationen, Zeitmomenten arbeiten, verdichtet sie zu surreal wirkender Malerei. Darf man diese Fotoarbeiten Eyecatcher nennen? Tatsächlich funktionieren sie als Blickfänger. Aber nicht für wirtschaftliche Werbezwecke. Indem Kathrin Karras die Anmut des Unterwasserlebens so stark und poetisch herausarbeitet, (ver-)führt sie uns zu seiner genaueren Betrachtung: ein geradezu glamouröser Schein von Transparenz und Schimmern, schwebender Bewegung oder Farbenpracht. Alles ist die Verbindung von genauer Beobachtung des Gesehenen und der eigenen Verfasstheit dabei. Vor mehr als 70 Jahren schrieb einer der renommiertesten deutschen Philosophen: Genauigkeit kommt immer Schönheit zugute, und richtiges Denken dem zarten Gefühl. Zartheit ist aus der Mode gekommen. Da tut es gut, weiter zu lesen: Die praktischen Ordnungen des Lebens, die sich geben, als kämen sie dem Menschen zugute, lassen in der Privatwirtschaft das Menschliche verkümmern, und je mehr sie sich ausbreiten, umso mehr schneiden sie alles Zarte ab. Denn Zartheit ... ist nichts anderes als das Bewußtsein von der Möglichkeit zweckfreier Beziehungen, das noch die Zweckverhafteten tröstlich streift...
Kathrin Karras‘ Unterwasserpoesien sind eine besondere Art von Photo-Graphien; es sind Licht-Zeichen aus fremder Tiefe, verfestigt auf Alu-Dibond. Aus dem Wasser kommen sie in die Luft, auf die Erde, gehen in den Kopf und unbedingt ins Herz. Vages, Unbestimmtes, dem Auge Verschlossenes wird in diesen Bildern offengelegt. Etwas vom Rauschen, dem Ahnen vom Leben in der Tiefe wird aufgehoben, wird konkret und nah.

© April 2021 Anke Zeisler

1 Theodor W. Adorno: zitiert Hume in Minima Moralia
2 ebenda